Ein Zufallsfund
Auf „Wolfsblut“ stieß ich eher zufällig, da es auf unserem neu erworbenen E-Book-Reader als Gratisbuch enthalten war. Über die Frage, ob das Lesen mit einem solchen Gerät noch dem Lesen eines Buches im eigentlichen Sinne entspricht, lässt sich gewiss streiten, aber dies soll nicht Ziel des Beitrags sein. Vielmehr möchte ich in den folgenden Zeilen beschreiben, warum „Wolfsblut“ trotz seines hohen Alters durchaus lesenswert ist und es eigentlich nicht verdient, als Gratisprobe gewissermaßen verramscht zu werden.
Ein fast vergessenes Genre
Der Roman ist als klassischer Abenteuerroman angelegt und spielt während des Goldrausches am Klondike gegen Ende des 19. Jahrhunderts, den der Autor während einer seiner zahlreichen Reisen hautnah miterlebt hat. Daher wirkt das Beschriebene sehr real und man taucht sehr schnell ein in die kalte, unwirtliche Welt des hohen Nordens von Amerika. So ist gleich das erste Kapitel, in dem sich zwei Männer mit einem Hundegespann durch die verschneite Wildnis kämpfen und hierbei von einem ausgehungerten Wolfsrudel verfolgt werden, von einer Spannung geprägt, die ich in dieser Form in einem Buch noch nicht oft erlebt habe.
Ein Wolfsleben
Mit diesem Wolfsrudel beginnt dann auch der eigentliche Handlungsstrang um einen jungen Wolf namens Wolfsblut, der im Verlaufe der Geschichte von einem Wildtier zu einem dem Menschen dienenden Geschöpf wird. Der Roman ist somit eine Art Fortsetzung des ebenfalls aus der Feder von Jack London stammenden Romans „Ruf der Wildnis“, in dem sich ein Hund einem Wolfsrudel anschließt. Bei beiden Romanen mag man sich fragen, ob man sich als Leser*in mit einem Wolf identifizieren und mit diesem im gleichen Maße mitfiebern kann, wie man es mit einem menschlichen Protagonisten tun würde. Die Antwort ist natürlich subjektiv, lautete aber in meinem Fall ganz klar: Ja, man kann, wenn man sich mit dem Genre Abenteuerroman anfreunden kann und zumindest ein gewisses Interesse an den geschichtlichen Hintergründen der im Buch beschriebenen Ereignisse hat. In diesem Fall nimmt man an Wolfsbluts Schicksal bzw. seinem Lebensweg regen Anteil, was nicht zuletzt an Londons fesselndem Schreibstil und der gelungenen Übersetzung liegt.
Ein wenig Kritik
An dieser Stelle sei allerdings erwähnt, dass man von „Wolfsblut“ keine tiefgreifenden Erkenntnisse über das Leben im Allgemeinen oder andere philosophische Ergüsse erwarten kann, da es sich bei dem vorliegenden Werk rein um Unterhaltungslektüre handelt. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Zudem muss man sich vor Augen halten, dass Jack London den Roman im Jahr 1906 geschrieben hat und die darin beschriebene Weltsicht heutzutage sicherlich kritisch hinterfragt werden muss. So wird im ganzen Buch mehr oder weniger selbstverständlich angenommen, dass für ein Wildtier ein Leben in menschlicher Obhut immer eine Verbesserung ist, da das Leben in der Wildnis um ein Vielfaches entbehrungsreicher und grausamer ist. Konsequenterweise werden alle Menschen als „Herren“ angesehen, denen auch bei massiven Misshandlungen uneingeschränkt zu gehorchen ist. Dies scheint aus heutiger Sicht ebenso fragwürdig wie die durch Wolfsblut manifestierte Meinung, dass Indianer den weißen Siedlern in nahezu allen Belangen unterlegen sind und eine Verdrängung ihrer Kultur als Konsequenz nicht weiter dramatisch wäre.
Fazit
Weiß man letztgenannte Passagen jedoch einzuordnen, so kann „Wolfsblut“ auch nach über 100 Jahren noch überzeugen und ich bin durchaus nicht unglücklich, dieses Werk per Zufall gefunden zu haben.
Details zum Buch
Autor: Jack London
ISBN: 9783423142397
Preis: 10,90 Euro (als Taschenbuch)
Seiten: 304
Verlag: dtv
Erscheinungsjahr: urspünglich 1906, Neuauflage bei dtv von 2013